Reportage: "Wo Bücher
nicht nur Ware sind!"

Reportage im journal-digital von Kilian Tribbeck über die Münchner Buchhandlung Max Götz: Wo Bücher nicht nur Ware sind


MÜNCHEN. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein. Beim Eintreten stört kein schriller Alarmton die angenehm ruhige Atmosphäre. Der Platz zum Gehen ist kaum größer als der echte alte Teppich, der zur Wohnzimmerat-mosphäre beiträgt. Bücher, Hefte und antiquarische Magazine stapeln sich in Regalen vom Boden bis zur Decke. Das neugierige Auge entdeckt weder eine moderne Kasse noch einen Computer. Man fühlt sich schnell heimisch, als beträte man eine alte Gelehrtenstube. Nur heller ist es hier.

Durch die Schaufenster dringt das Tageslicht ins Ladeninnere der Buchhandlung/Antiquariat Max Götz in der Mün-chener Pacellistraße 5. Die Atmosphäre ist sehr persönlich und vertraut. Der Buchhändler Max Götz Junior, 39, Sohn des Inhabers, kennt die meisten Kunden mit Namen und oft auch deren Familiengeschichte. Jeder kann in Ruhe schmökern, wird nicht durch umsatzorientierte Beratung belästigt. Die Beratung ist freundlich und kompetent. Manche Kunden fragen direkt, was es Neues gäbe. Max Götz scheint für jeden etwas Interessantes zu haben. Viele der Bücher, die er seinen Kunden empfiehlt, hat er selbst gelesen. Das Sortiment ist sorgfältig auf die Stammkundschaft abgestimmt. Was nicht vorhanden ist, wird bestellt und auch schon mal vom Junior persönlich ausgeliefert. Es versteht sich in diesem Umfeld von selbst, dass hier nicht per Computer bestellt wird. Max Götz und seinen Kunden gefällt es, im Buchkatalog nachzuschlagen. Manche Kunden suchen auch gerne selbst nach Titeln. Für Götz macht es einfach mehr Sinn, ein Buch, das bestellt werden soll, in einem Buch nachzuforschen und nicht in der PC-Datenbank, obgleich dieses traditionelle Verfahren für die Buch-handlung teurer ist. „Wenn ich nicht gut drauf bin, bringen mir die Kunden schon mal was zum Essen mit“. Im Kellerraum, der als Büro, Lager und Kochecke dient, herrscht geordnetes Chaos. Zwischen Postkarten, Büchern und Kartons sticht eine alte Adler-Schreibmaschine ins Auge. Unter der Wendeltreppe stehen ein Kühlschrank und eine kleine Kochplatte. Theoretisch könnte man hier selber kochen. Ab und zu bringen die Kunden Max Götz was zum Essen mit oder laden ihn ein. Der Junior ist auch schon mit einer reizenden Achtzigjährigen im Restaurant gelandet. Manchmal bietet Götz den Kunden Tee oder Kaffee an.

Zigarrendunst in der Debattierstube

Da gibt es einen zahlreicher Originale, eine Mischung aus Kunde und Bekanntem, der beim Philosophieren und Debattieren ständig dicke Zigarren raucht. Die Rauchschwaden scheinen undurchdringlich. Doch der Kopf ist klar. Der belesene, etwas altmodische Herr kämpft für die Erhaltung der Sprache auf hohem Niveau. Wir kommen schnell ins Gespräch. Ich werde darüber aufgeklärt, dass die Sprache überwiegend von Journalisten, Autoren und Lektoren verhunzt wird.

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von Kilian Tribbeck


Diese Buchhandlung hat das Flair einer Kleinkunstbühne, auf der sich manche Kunden gerne selbst darstellen. Zwei Damen betreten den Laden. Die Ältere im Pelz hat das Bedürfnis, ihre Freundin mit dem Junior-Chef bekannt zu machen. „Darf ich vorstellen, das ist der Herr Götz!“

Auch für Frauen, die er gerne als „zweibeinige Nylonhexen“ bezeichnet, hat er nichts übrig. Vom Junior erfahre ich, dass dieser Mann vermutlich das größte Privatarchiv zum Thema politische Ver-schwörungen besitzt. Trotz seiner braunen Färbung hat der Alte Humor. „Max, bald wirst vom Tierschutzverein verklagt wegen Mordes an Büchermotten. Die Viecher vertragen den Qualm doch ned.“ Gut, dass es auch andere „Herrschaften“ gibt. Max Götz hat einen guten Draht zu seinen Kunden. Aus einigen Kunden wurden Freunde. Doch verwundert das wenig, scheint diese Buchhandlung doch auch sein Wohnzimmer zu sein, in dem er seinen Freundeskreis „empfängt“.

Auftritt von drei Generationen auf der „Kleinkunstbühne“

Eine über 80-jährige deutsche Prinzessin nimmt auf dem Stuhl neben der kleinen Ladentheke Platz. Ihre Tochter bedient sie, bringt und zeigt ihr die Bücher, die sie als Enkeltochter geschenkt bekommen soll. Nachdem die endgültige Auswahl getroffen ist, verneigt sich die beschenkte Enkeltochter vor der Prinzessin-Oma und gibt ihr den standesgemäßen Handkuss. Alles in allem ein Ritual, das weit über eine Stunde dauern kann.

Senior und Junior


Der Senior erzählt mir von der über hundertjährigen Geschichte der Buchhandlung, den Umzügen und ehemaligen Vermietern. Seit vielen Jahren ist der Freistaat Bayern der Vermieter. Vor zwei Jahren zwang er die kleine Buchhandlung sich noch weiter zu verkleinern. Begründung: Man brauche einen größeren Eingang für das anschließende Gerichtsgebäude. Die Baustelle ist seitdem verwaist. Der Freistaat hat damit auf eine große Summe Mieteinnahmen verzichtet. Senior: „Dem Staat scheint das egal zu sein. Der holt sich das Geld vermutlich wieder über Steuern herein“. Vorher hatte das traditionelle Familienunter- nehmen Ladenräume von der Kirche gemietet, die jedoch das Mietverhältnis nach 40 Jahren unsanft beendete. Die Buchhändler-Familie, die schon mit dem Gedanken ans Aufgeben spielte, sammelte Unterschriften und fühlte sich auch durch die starke Resonanz zum Weitermachen in neuen Räumen ermuntert. Mich erstaunt, dass sich eine kleine Buchhandlung auf dem Münchener Markt behaupten kann. Man lebe von der Stammkundschaft, zu der neben Schulen und Universitäten auch andere Institutionen zählen. Deren Bestellungen helfen über verkaufsschwächere Zeiten hinweg. Ihr Ge-schäftsprinzip: klein, aber solide. In punkto technischer Veränderungen bleiben Vater und Sohn gleichermaßen stur. Eine alte Schublade dient als Kasse. Buchführung wird hier noch wörtlich genommen. Das Faxgerät, neben dem Telefon, das einzige Zugeständnis an die Neuzeit, wurde auch erst vor wenigen Jahren von einer Angestellten angeschafft. Weitere Modernisierungen werde es nicht geben. „Sollten die Buchkataloge nicht mehr gedruckt erscheinen und ich endgültig auf PC umsteigen müssen, kann ich den Laden zumachen“, sagt der Junior lachend. Mir gefällt dieser Laden. Künftig werde ich hier auch meine Bücher kaufen. Es ist spät geworden. Der Junior hat bereits einen verschleierten Blick vom Kirschtopf einer Kundin bekommen. Zeit zu gehen.

(Anmerk.: Buchhandlung wurde Ende Januar 2013 geschlossen).


Aktualisierung 06.11.2014:


Max Götz betreibt inzwischen eine Online-Buchhandlung in Großdingharting bei München. Hier klicken für Infos!